Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass es nach dem Sortieren der Beute schon vorbei ist? Oder ich Euch danach einfach alleine im sprichwörtlichen Regen stehen lassen würde?! Selbstverständlich ist die unnötige Antwort auf beide Fragen nein! Ihr habt Eure Bilder (selbstverständlich!) im RAW-Format aufgenommen. Daraus folgt zwingend, dass eine Nachbearbeitung und eine anschließende Konvertierung in ein Endformat notwendig ist.
Einschub – warum eigentlich RAW? (noch einmal):
Obwohl ich es schon einmal kurz erwähnt habe, erscheint es mir notwendig, ein paar Worte zum RAW-Format und den Gründen, die dafür sprechen, zu verlieren.
Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass RAW in keinem Fall ein fertiges Bild ist. Grob vereinfacht wird in diesem Format alles gespeichert, was der Sensor hergibt. Ihr bekommt schlichtweg alles. Das sind viel mehr Daten als sie in einem fertigen (JPG) Foto sind.
Meine Kamera nimmt z.B. 14 Bit pro Farbkanal auf. Wenn man weiss, dass ein JPG mit 8 Bit pro Frabkanal arbeitet, ist schnell plausibel, dass man viel mehr Detailinformationen und damit einen bedeutend größeren Spielraum für Korrekturen hat. (Für die mathematisch interessierten: Bei JPG gibt es pro Kanal (Rot/Gelb/Blau) 256 Abstufungen zwischen „nix“ und „alles“. Bei 14 Bit sind das sportliche 16384…)
Die Daten werden (im Idealfall) auch nicht von der Kamera „interpretiert“. Das bedeutet, dass genau das gespeichert wird, was der Sensor wahrnimmt. Es erfolgt keine Farbanpassung, keine Schärfung und keine Rauschreduzierung. Das ist gut. Denn jeder dieser Schritte (und auch so ziemlich alles andere, was man auf dem Weg zu einem fertigen Foto in 8 Bit macht) zerstört Informationen. Informationen, die man gerade in schwierigen Situationen, mit denen eine Automatik schlichtweg überfordert ist, sehr gut gebrauchen kann.
Unterm Strich hat man mit dem RAW-Format maximale Flexibilität für die Nachbearbeitung. Man lässt sich selbst einen möglichst großen Spielraum für (manchmal unvermeidliche) Fehler. Der Preis für diese Flexibilität ist, dass man nachbearbeiten (bzw. mindestens konvertieren) muss. Oder – ganz kurz zusammengefasst: wer es ernst meint, fotografiert immer in RAW!
Wer sich ein wenig tiefer in das Thema einlesen will, findet hier einen guten Einstieg.
Persönliche Anmerkung: Ich kenne Kollegen, die schnell (wie in jetzt) ihre Bilder ausliefern müssen. Es ist klar, dass es dann schlichtweg an der Zeit für eine mehr oder weniger aufwändige Nachbearbeitung fehlt und in JPG gearbeitet wird. Meistens brauchen die ein Bild (oder maximal zwei oder drei) für einen Bericht, der heute noch in den Druck gehen oder morgen veröffentlicht werden muss. Natürlich geht das. Selbstverständlich bekommt man mit JPG das ein oder andere gute – sogar umwerfend geniale – Foto hin!
Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass eine optimale Qualität nur über das RAW-Format und eine angemessene Nachbearbeitung möglich ist.
Zurück zum Thema Workflow. Werden wir also endlich konkret. Mein Workflow (und es gibt andere, ich behaupte einmal mehr nicht, dass ich die einzig wahre Wahrheit gefunden habe!) findet in Adobe Lightroom CS 2014 statt. Es gibt bestimmt andere Software, die auch toll ist, aber ich arbeite mit Lightroom und werde hier keinen Glaubenskrieg über Software anfangen.
Edit – Vorbemerkung: Monitor und kalibrierte Farben
Einige Leser haben mich auf Farben, Monitore, Ausbelichtungen und darauf angesprochen, dass so was durchaus richtig schief gehen kann. Über die Qualität von Monitoren habe ich hier schon mal was geschrieben. Um es kurz zu machen: das, was so ein normaler Monitor von sich gibt, ist in vielen Fällen nicht das, was die Daten eigentlich beeinhalten. Wer es ernst meint, kalibriert seinen Monitor. Zum Beispiel mit so was. Damit Eure Bilder auch ausbelichtet oder ausgedruckt so aussehen, wie Ihr das haben wollt, ist genau das kriegsentscheidend. (Weiterführendes Farbmanagement und die Wahl des Farbraums mag da noch ein wenig was herausholen können, ist aber bei weitem nicht so wichtig, wie der ein oder andere Theoretiker glaubt.)
Basisanpassungen
Ihr solltet also so weit sortiert haben, dass die Anzahl der zu bearbeitenden Bilder überschaubar ist. Wenn Ihr mehr als 30-40 Fotos pro Band habt, seid Ihr viel besser als ich. Oder Ihr solltet vielleicht noch einen Sortierdurchgang starten. Mein erster Schritt ist es, ein paar Grundeinstellungen über all diese Bilder zu werfen: ich erhöhe den Kontrast (+25) und die Klarheit (+25). Außerdem gebe ich ein wenig Schärfe (Betrag +50; Maske 50) und eine Vignette (-20) hinzu. Aus unerfindlichen Gründen mache ich das erst nach der Vorauswahl und über die „Synchronisieren…“ Schaltfläche.
Anmerkungen: Man kann das selbstverständlich als Entwicklungsvorgabe abspeichern und schon beim Import auf die Fotos loslassen. Warum ich das nicht mache, weiss ich nicht.
A pro pos Entwicklungsvoreinstellungen… die mögen total toll sein wenn es um „gewöhnliche“ Fotos geht, ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass diese Automatik (wie jede andere auch) mit den extremen Lichtsituationen eines Konzerts nicht wirklich gut klar kommt. Wer mutig ist wagt beim Import so was wie „Automatischer Tonwert“ oder „Kräftig“ …und ist sich dabei bewusst, dass die Magie gerne mal so daneben haut, dass ein eigentlich gutes Bild so zersägt wird, dass man Gefahr läuft es beim ersten Sortierdurchgang wegzuklicken.
Man muss auch wissen, dass (und das schreibe ich hier verdammt oft) RAW tatsächlich Rohdaten sind und nachbearbeitet werden müssen. Vor allem sind die Bilddaten nicht geschärft. Bedenkt das bei der Auswahl Eurer Bilder. Lightroom setzt zwar von sich aus eine leichte Schärfung, aber da kann man ruhig noch ein wenig mehr dazu geben und auch ein mutiger Griff zum Klarheitsregler schadet in den allermeisten Fällen nicht.
Jetzt gehe ich einzeln über die Bilder drüber und kümmere mich erst mal nur um den Beschnitt und die Ausrichtung der einzelnen Bilder. Schaffe ich es dabei nicht den Bildeindruck hin zu bekommen, der mir vorschwebt (Ihr erinnert Euch: Komposition und so…), fliegt das Bild raus. Jap, seid hart zu Euch und zu Euren Bildern. Lasst wirklich nur die auf den Rest der Menschheit los, die euch restlos überzeugen! Ich kann es nicht oft genug betonen!
Individuelle Anpassungen
Der nächste Durchgang ist dann der eigentlich anstrengende Teil Bearbeitung. Jetzt gilt es, über die vielen wunderbaren Stellschrauben das Bild zu optimieren. An mutigen Tagen klicke ich als erstes bei den Tonwerteinstellungen auf „automatisch“, das kann zu einem halbwegs sinnvollen Ergebnis führen. Meist sorgt es aber dafür, dass das Bild gnadenlos überbelichtet wird und die Kontraste zersägt werden (Strg/CMD+Z). Also spielt lieber selbst mit den Reglern herum. Bei RAWs solltet Ihr gute 1,5 bis 2 Blenden Spielraum nach oben und unten haben. Es sollten auch in jedem der Histogrammabschnitte genug Abstufungen vorhanden sein, so dass Ihr recht bedenkenlos die Belichtung auch nur in Teilbereichen korrigieren könnt ohne dass es zu Tonwertabrissen kommt.
Über die Farbtemperatur könnt Ihr einiges retten – gerade Metal tendiert ja zu sehr einfarbiger Ausleuchtung. Ein beherzter Ruck an den beiden Reglern hat schon so manches Bild vor dem /dev/null gerettet. Zumindest wenn nicht ausschließlich LED-Strahler zum Einsatz kommen, lassen sich Farbstiche recht einfach in den Griff bekommen. (Wenn man RAW benutzt hat…)
Ansonsten gilt: Es war halt so bunt. Auch das gehört zum Charakter solcher Livefotos. Wenn die Farben zu sehr daneben liegen, versucht Euch vielleicht an einer Schwarz/Weiss Umsetzung. (Dazu schreibe ich vielleicht auch noch was ganz Ausführliches.) Und wenn gar nichts geht, fliegt das Bild halt weg. Ihr erinnert Euch: keine Gnade!
Edit: Selbstverständlich passe ich jetzt (soweit nötig) die Einstellungen an, die ich im vorhergehenden Schritt einfach global über alle Fotos drübergeschmiert habe. (Danke für die Nachfrage.) Meist passt die Schärfung schon ganz gut. Zumindest mir und meinem Bildgeschmack. (Darum lasse ich diese Einstellungen ja überhaupt erst auf alle Bilder los).
Praxistipps:
- Ein Foto muss nicht immer perfekt belichtet sein. Schattenrisse, Lichtorgien und Andeutungen funktionieren auch richtig gut. Wenn Ihr allerdings nur solche Bilder habt, solltet Ihr Eure Fotoverhalten (und Eure Einstellungen) noch mal überdenken.
- Der allseits beliebte Bühnennebel verschmiert Kontraste und irritiert den Belichtungsmesser. Mit ein paar Einstellungen kann man och einiges aus den Daten herausholen. Wenn man Kontrast und Klarheit massiv erhöht und den Schwarzwert deutlich beschneidet, lässt sich das Foto meist deutlich verbessern.
Wenn das nicht klappt, versucht, den Nebeleffekt zu verstärken indem Ihr den Kontrast abschwächst und den Weißwert anhebt. Führt keiner der beiden Ansätze zu einem vorzeigbaren Ergebnis (und fällt Euch auch sonst nichts ein) gilt – wie jedes Mal – verzettelt Euch nicht und entsorgt das Foto. - Die Lichtverteilung auf Konzertfotos ist üblicherweise sehr unausgewogen, eine Vignette macht sich da in den meisten Fällen gut um die Aufmerksamkeit des Betrachters zu lenken und den Bildeindruck zu konzentrieren.
- Konzertfotos sind extreme Bilder: bemüht Euch entweder um richtig kräftige Farben und Kontraste oder versucht Euch an einer knackigen Schwarz/Weiß-Umsetzung.
- Wenn Ihr unbedingt entrauschen wollt, übertreibt es nicht! (Wenn es um den Export geht, werde ich dazu noch was schreiben.)
- Einige Farbstiche und andere Dinge lassen sich einfach nicht korrigieren. Das ist so. Das macht auch den Charakter von Reportagefotos (und Konzertfotografie ist genau das!) aus: die Bilder sind nicht gestellt und „spontan“, die müssen nicht überperfekt sein!
- Übertreibt es nicht! Egal womit.
Schönheitspflästerchen
Es gibt in Lightroom unzählige Möglichkeiten, ein Bild zu retuschieren, „Fehler“ zu korrigieren und natürlich auch, sich seine Fotos zu zerlegen. Ihr werdet schnell merken, dass ein geschickt platzierter Korrekturpinsel oder eine kleine Bereichsreparatur wahre Wunder am Bild wirken können. Je mehr Erfahrung Ihr sammelt, desto mehr könnt Ihr auch aus Euren Daten herausarbeiten!
90% der Korrekturarbeiten lassen sich direkt in Lightroom erledigen. Bei meinen Konzertfotos muss ich Photoshop quasi nicht bemühen. Es gibt selbstverständlich Dinge, die in PS besser gehen, man kann mehr korrigieren und noch mehr aus einem Bild herauskitzeln (und es noch schneller zerstören…) – aber diesen Aufstand hebe ich mir für ganz besondere Bilder auf. Ja, ich gebe es offen zu, in der Hinsicht bin ich vielleicht eine Winzigkeit zu faul. Der Punkt ist: man bekommt mit Lightroom unglaublich viel aus den Daten herausgearbeitet und seine Bilder in einen richtig richtig guten Zustand. Mir reicht das (für Reportagefotos). Meistens.
Wie und womit auch immer Ihr an die Retusche geht, macht es! Es gibt Bilder, bei denen sich das so richtig lohnt. Das Ende vom Mikrofon, das noch ins Bild ragt, das Schild, das den Fluchtweg kennzeichnet, der Vorhang der nicht ganz geschlossen ist… all diese Details können ein herausragendes Bild (zer-)stören. Es mag ja sein, dass es sich hier um Konzert- und damit in letzter Konsequenz um Reportagefotografie handelt, aber ich mag mir von solchen Details den Gesamteindruck meiner Fotos nicht verderben lassen. Ich weigere mich, das als „Fälschung“ oder „Zerstörung der Authentizität“ anzuerkennen.
Filtern(?)
Manche mögen es, Filter über Ihre Fotos drüber laufen zu lassen. Ich selbst mag den Tonal Contrast Filter aus dem Color Efex Pro Teil der NIK-Collection recht gerne. Mit dem Filter bekommt man einen fast surreal harten Kontrast/Schärfeeindruck hin, muss aber extrem aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Gerade bei Licht und Bühnennebel sollte man den Effekt ausmaskieren. Und auch Gesichtern schmeichelt dieser spezielle Filter so gar nicht. Was auch immer Ihr auf Eure Daten loslassen wollt, Ihr macht das am besten mit den fertig bearbeiteten Bildern, mit den Daten, die Ihr schon optimiert und korrigiert habt.
Um das mit Photoshop noch einmal angesprochen zu haben: es empfiehlt sich, seinen Fotos erst das komplette Lightroom-Wohlfühl-Programm zu gönnen bevor man die so angepassten Daten in PS weiter verfeinert.
Am Ende des Vorgangs solltet Ihr dann eine stattliche Auswahl (die vielleicht ein wenig kleiner als zu Beginn der Bearbeitung ist) an guten und gut bearbeiteten Bildern haben. Daraus müssten jetzt nur noch Dateien werden, mit denen der Rest der Menschheit auch etwas anfangen kann. Das wiederum ist eine Wissenschaft für sich. Und darum gibt es dafür auch einen eigenen Artikel. Noch diese Woche. Versprochen. (Und über das affengeile Licht beim ZZ Top Konzert schreibe ich bestimmt auch noch was…)
tl;dr
- Wenn Ihr ein wenig Zeit habt, arbeitet in RAW!
- RAW muss nachbearbeitet werden.
- Geht in (mindestens) zwei Durchgängen über Eure Bilder.
- Basiskorrekturen (Schärfe, Klarheit, ggf. Vignette) können durchaus als Stapelaktion (erst mal) auf alle Fotos angewandt werden.
- Ausrichtung und Beschnitt macht Ihr im nächsten Schritt individuell.
- Dann Anpassung von Farbe und Belichtung. (Spielt mit den Parametern. Erfahrung hilft!)
- Nebel kann man mit Schwarzwert, Kontrast und Klarheit bekämpfen. Oder als Stilmittel verstärken.
- 90% der Berabeitung lässt sich in Lightroom machen – Photoshop kommt (bei mir) nur für ausgewählt herausragende Bilder zum Einsatz.
- Filter (und Photoshop) erst, wenn die Lightroombearbeitung abgeschlossen ist!
- Stellt sich heraus, dass ein Bild doch nicht so gut ist / bearbeitet werden kann: keine Gnade!