Fotografen in der Finsternis: Fotografieren im Graben


Willkommen zum dritten Teil der kleinen Artikelserie darüber, wie Konzertfotografie funktionieren kann. Nachdem Ihr meine Gedanken und die Ergänzungen einiger Kollegen darüber gelesen habt, wie man in den Graben kommt und sich dort höflich bewegt, ist es langsam an der Zeit, sich mit dem Fotografieren an sich auseinanderzusetzen.

Zwei, drei Dinge muss ich noch erwähnen, bevor es los geht: Was auch immer ich hier schreibe, ist meine persönliche Meinung, meine Erfahrung und auf keinen Fall der Weisheit letzter Schluss mit Anspruch auf die letztgültige Wahrheit. Es gibt mehr als genug andere Möglichkeiten, hervorragende Konzertfotos zu machen, das hier ist mein Ansatz – und ich weiss, dass ich weit von „perfekt“ und meistens auch noch ein ordentliches Stück von „gut“ entfernt bin. Ihr werdet merken, dass ich in vielen Dingen recht allgemein bleibe – bei der Komplexität des Themas lässt sich das nicht anders machen. Es gibt nicht die perfekte Einstellung für Konzerte. Was ich hier schreibe kratzt allenfalls an der Oberfläche und kann Euch einen Schubs in die richtige Richtung geben. Nicht mehr.

Wenn Ihr tiefer in die Materie einsteigen wollt, schaut Euch ein wenig um: es gibt auch bei Euch in der Gegend bestimmt den ein oder anderen Workshop zum Thema. So was lohnt sich! Um nur ein Beispiel zu nennen, macht der liebe Martin nicht nur Fotos, die mich regelmäßig in Ehrfurcht erstarren lassen, sondern gibt sein Wissen auch in grandiosen Workshops weiter: klick! (Wirklich gute Bücher, die sich speziell mit dieser Facette der Fotografie auseinander setzen sind mir noch nicht begegnet.)

2008-12-06 - X-Mas Hexentanz - Ottweiler (Jan Reif) - 220145 (1)

Legen wir also los!

Als Einsteiger in die Konzertfotografie solltet müsst Ihr Euch mit den Grundbegriffen der Fotografie auseinander gesetzt haben und Euer Werkzeug sicher beherrschen. Ihr müsst mit den Begriffen Lichtempfindlichkeit/ISO, Bende und Belichtungszeit vertraut sein und wissen, wie Ihr die entsprechenden Einstellungen an Eurer Kamera vornehmen könnt. Ihr müsst wissen, wie der Autofokus Eurer Kamera zu bedienen ist, welche Lichtmessmethoden Ihr zur Verfügung habt und wie Ihr diese Einstellungen ändern könnt. Wenn Ihr jetzt nickt, lest weiter.

Die Situation

Das Hauptproblem, das sich einem in der Konzertfotografie stellt, ist, dass es auf der Bühne meist verdammt dunkel ist. Gerade die Veranstaltungen,  die man als Einsteiger besuchen kann, zeichnen sich in der Regel durch eklatanten Lichtmangel aus. Das alleine wäre ja noch verhältnismäßig einfach zu handhaben, würde da nicht ständig jemand an irgendwelchen Reglern rumspielen, so dass das Licht auch noch reichlich unregelmäßig und manchmal sogar richtig hell ist. Um die lichtbedingten Fotografenschmerzen perfekt zu machen, kommen immer öfter LEDs zum Einsatz, deren diskontinuierliches Lichtspektrum die interessantesten Farbverschiebungen hervorruft und den Belichtungsmesser auf’s vortrefflichste verwirrt.

2009-09-24_17-58-45_Pagan Fest, Illipse Illingen

Weil das alles noch viel zu einfach in den Griff zu bekommen wäre, wagen es die Künstler auf der Bühne auch noch, sich zu bewegen…

Theoretische Vorüberlegungen

Einigen der oben besprochenen Probleme kommt man (fast) nur mit brachialer technischer Gewalt bei. Hat es zu wenig Licht, muss jedes Photon genutzt werden. Lichtstarke Objektive und Bodys mit guten Sensoren helfen da massiv weiter. Aber über Ausrüstung werde ich mich in einem späteren Artikeln noch ein wenig ausbreiten – gehen wir also für den Moment davon aus, dass wir eine Kamera und ein Objektiv haben.

20130924-182635-Heidenfest

Weil es so dunkel ist, empfiehlt es sich, offenblendig zu arbeiten. Dabei gilt es immer zu bedenken, dass auch die teuren f/2,8er Zooms und die noch lichtstärkeren Festbrennweiten weit offen nicht ihre optimale Schärfe erreichen. (Kein Objektiv tut das.) Außerdem ist es so, dass man das viele Licht, dass durch die offene Blende durch kommt, damit bezahlt, dass der Schärfebereich recht klein ist. Das stellt dann wieder eine ziemliche Herausforderung für den Autofokus dar.

Damit man überhaupt irgendwas auf den Fotos erkennen kann, ist man gezwungen, die Lichtempfindlichkeit des Bodys recht hoch einzustellen. Das führt dazu, dass es zu Bildrauschen kommt. Das ist so.

Eine Möglichkeit die Lichtausbeute zu erhöhen ist, länger zu belichten. Diese Strategie funktioniert nur bedingt. Stabilisierte Objektive oder Bodys erlauben es einem durchaus, Belichtungszeiten von 1/30 oder länger zu halten. Leider hindert auch der beste Stabilisator die Künstler nicht davon ab, sich zu bewegen. So schön es ist, so einen „Wackeldackel“ zu haben, in der Praxis braucht man doch relativ kurze Belichtungszeiten.

Um die Künstler auf der Bühne überhaupt einzufangen, empfiehlt sich der nachführende Autofokus. Einige Kollegen schwören auf die intelligentere Geschmacksrichtung, den verfolgenden Autofokus. Einige ganz harte Kerle fokussieren manuell – ich gebe offen zu, dass ich dafür nicht mutig genug bin.

20111229-231148-Ewige Nacht - Losheim

Um überhaupt entscheiden zu können, wie weit die Blende offen sein muss, wie kurz man belichten kann oder wie weit die Lichtempfindlichkeit aufgedreht werden muss, sollte man wissen, wie viel Licht überhaupt da ist. Sprich: man muss sich mit den Lichtmessmethoden seines Bodys auseinandersetzen und der Kamera helfen, die Situation richtig einzuschätzen und zu bewältigen.

Zu guter Letzt möchte man so viel Spielraum für mögliche (unvermeidbare) Fehler lassen…

Das sind grob die Dinge, die man aus technischer Sicht im Hinterkopf haben muss.

Butter bei die Fische

Genug geredet! Was macht man also, um irgendwie technisch anständige Bilder hinzubekommen? Es gibt kein allgemein gültiges Rezept, das für jede Situation passt. (Das erwähnte ich bereits.) Man kann sich aber mit seinen Ausgangseinstellungen einen guten Start in seine drei Lieder verschaffen und davon ausgehend an den richtigen Stellschrauben drehen um mit der konkreten Situation klar zu kommen. So möchte ich alles was jetzt folgt verstanden wissen – als einen möglichen Ausgangspunkt der für mich ziemlich gut funktioniert.

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Ausgangspunkt meiner Einstellungen: Die Kamera befindet sich grundsätzlich im manuellen Modus und nimmt Rohdaten („RAWs“ oder konkret in meinem Fall NEFs) auf. Ich traue mich nicht, länger als 1/80 zu belichten. Außerdem möchte ich eine Winzigkeit mehr Spielraum bei der Tiefenschärfe (und generell etwas mehr Schärfe aus meinen Objektiven herausholen), darum blende ich auf f/3,5 ab. Die Kameras nehmen Rohdaten auf und messen ihr Licht im Spotmodus. Die AF-Feldzahl ist reduziert und der AF selbst im nachführenden Modus. Je nach Gefühl fange ich mit ISO 1600 bis 3200 an.

Und dann geht’s los. Wichtig finde ich, dass ich je nach Situation die Messfelder passend auswählen kann, so dass ich meine Fotos zumindest ansatzweise komponieren kann. Die Lichtwaage im Sucher zeigt mir dabei dann an, ob ich an den Einstellungen Veränderungen vornehmen muss. (ISO rauf/runter, Belichtungszeit, Blende…) Ich gebe zu, dass ich Serien aufnehme. Bei einer guten Pose oder Lichtsituation lasse ich gerne mal 3-5 Fotos durchrauschen um dabei Blende und Belichtungszeit zu variieren. (Mal ganz davon abgesehen, dass der AF nicht immer 100%ig trifft, so dass ich im Zweifelsfall lieber ein Foto mehr habe.)

Generell glaube ich an den „Zweifelsfall“. Im Zweifelsfall versuche ich – je nach Situation – die Belichtung ein wenig zu variieren. Das Licht auf der Bühne ist meist sehr punktuell gesetzt, so dass bestimmte Bereiche gerne ausbrennen andere dafür schnell mal absaufen. Ab und zu einen Blick auf die Lichtwaage zu werfen kann auch nicht schaden.

Klingt einfach, oder? Da gehört einiges an Erfahrung dazu, eine Situation sehen und entsprechend reagieren zu können. Wichtig erscheint mir, dass Ihr Eure Kamera beherrscht, damit Ihr überhaupt schnell die Einstellungen vornehmen könnt. Manchmal ist es auch so, dass Ausrüstung einer bestimmten Qualitätsstufe bestimmte Situationen erst handhabbar macht.

Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass Ihr Euch Erfahrung erarbeiten werdet, so dass Ihr Euch immer mehr den Fotos selbst, also der Komposition widmen könnt, ohne dass Euch die Technik im Weg steht. Eure Finger werden beizeiten die Knöpfe und Rädchen schon von alleine finden.

2008-08-30 Summers End Andernach - 210050

Automatiken?

Jetzt haben moderne Bodys doch so viel Intelligenz eingebaut – Motivprogramme, Zeit-, Blenden-, ISO-Automatik, Vollautomatik, Motivklingel – sollte man das nicht nutzen? Können die das Fotografenleben nicht einfacher machen?

Ich kenne Kollegen, die schwören auf die Zeitvorwahl. Andere finden die Blendenvorwahl (gerne auch in Kombination mit einer ISO-Automatik) fantastisch. Deren Bilder sind auch toll. Warum also nicht? Für mich tun’s diese Dinger irgendwie nicht. Ich mag es nicht, wenn meine Ausrüstung versucht, klüger zu sein als ich. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Belichtungsmessung – gerade bei Konzerten mit LED-Licht – gerne mal gründlich daneben greift und mit den extremen Lichtunterschieden genau im falschen Moment überfordert ist. Außerdem lernt man mehr, wenn man sich seine Bilder selbst zerschießt.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich in letzter Zeit die ISO-Automatik meiner D800 sehr zu schätzen gelernt habe. Die ist erstaunlich treffsicher. Außerdem lässt sie sich im Zweifelsfall wunderbar schnell mit einem Griff ohne die Kamera vom Auge zu nehmen ausschalten.

Bemerkt bitte, dass ich hier kein Wort über Motivprogramme oder die Vollautomatiken verloren habe. Die wollt Ihr nicht!

Hexentanz 2007

Beliebte Fehler – Tipps zur Bildgestaltung

Solange Ihr mit Eurem Werkzeug kämpft, ist das die Hauptfehlerquelle. Und sei es nur, dass Ihr abgelenkt seid weil Ihr gerade irgendwelche Knöpfchen sucht und Euch deshalb eine schöne Situation entgeht. Diese Fehlerquelle könnt Ihr recht einfach ausmerzen. Übt!

Wenn Ihr den Kopf von der Technik und Bedienung weitestgehend frei habt, könnt Ihr Euch ganz darauf konzentrieren, gute Fotos zu komponieren. Auch hier gilt wieder, dass das meine persönliche Meinung ist und „Kompositionsregeln“ dazu da sind, sie zu kennen und sie im Zweifelsfall bewusst zu brechen!

Versucht, vom mittleren Fokusfeld wegzukommen. Es gibt wenig was so langweilig ist, wie Fotos, denen man ansieht, dass sie deshalb so sind, wie sie sind, weil das Messfeld nun mal eben in der Mitte ist! Wählt ein anderes Messfeld und arbeitet ein wenig mit der „Drittelregel„.

Achtet auf Details und Bildschnitte. Ich finde abgeschnittene Hände oder ein Bildschnitt, der durch die Knöchel geht… …unschön. Geht näher ran! Auf den meisten Fotos ist viel zu viel drauf! Oder geht weiter weg!

Bewegt Euch! Spielt mit Perspektive und gerne auch mal mit Weitwinkeleffekten. Versucht auch, das Licht – Spots, Stimmungslicht – in Eure Komposition einzubeziehen.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf: schaut Euch auch die Arbeit der Kollegen an (und Eure!). Schaut und versteht, warum bestimmte Fotos besser wirken als andere. Lernt daraus.

2009-04-16- Hexentanz Warm-Up  - 194634

tl;dr

  • Ihr müsst Euer Werkzeug beherrschen!
  • Ihr müsst die Grundlagen der Fotografie beherrschen!
  • Offenblendig arbeiten
  • Belichtungszeit angemessen wählen (Künstler sind bewegliche Ziele)
  • Keine Angst vor hoher Lichtempfindlichkeit!
  • M (wenn Ihr mich fragt)
  • Spotmessung
  • nachführender Autofokus
  • Fokusmessfelder wählen (Komposition)
  • Wer mutig ist: ISO-Automatik
  • RAW-Format!
  • Sucht Euch einen Mentor und/oder den ein oder anderen guten Workshop!
  • Lernt von anderen und aus Euren Fehlern

mehr geht immer

Wenn Ihr Euch ein klein wenig intensiver mit der Technik Eurer Kamera auseinander gesetzt habt, werdet Ihr vielleicht feststellen, dass Ihr Fokusmessfelder zusammenfassen und/oder die Zeit, die bis zum Nachführen des Fokus vergeht, einstellen könnt, und/oder dass Ihr verschiedene Fokussensoren habt. Die Kreuzsensoren sind die mit mehr gut.

Diese Erkenntnis kann Euch helfen, weniger Ausschuss zu produzieren. Kreuzsensoren sind viel genauer und schneller – gerade bei wenig Licht. Vielleicht lässt sich Eure Kamera so einstellen, dass nur die Kreuzsensoren benutzt werden? Oder Ihr habt recht viele Messfelder. Es kostet einfach Zeit, sich durch alle durchzuklicken – die Zahl der Felder zu reduzieren kann durchaus hilfreich sein.

Es gibt immer den ein oder anderen Kniff, den man lernen kann. Verrennt Euch da nicht – wenn Ihr die Grundlagen beherrscht, kommt der Rest durch Erfahrung.

Geht raus! Macht Fotos! Habt Spaß!


Eine Antwort zu „Fotografen in der Finsternis: Fotografieren im Graben“

  1. Hei Lazarus
    Da kann ich dir doch weitestgehend zustimmen. Im Bereich der Einstellungen, etwa ISO, Zeit oder Blende, gibt es zwar grosse Unterschiede bei unterschiedlichen Locations (kleine Clubs versus grosse Hallen oder Festivals), aber insbesondere deine Hinweise auf „Finger weg von den Automatiken“ oder „Spotmessung mit nachführendem Autofokus“ teile ich nach fast 15 Jahren Konzertfotografie voll und ganz.
    Coole Artikelreihe, die ich gerne weiterempfehlen werde.